MusiKativ: Community Music - Methodenkoffer
Koray Berat Sarı
1. Einführung
Im Community Music-Projekt „MusiKativ“ der Kölner Philharmonie in Kooperation mit der Offenen Jazz Haus Schule wurden verschiedene Methoden angewandt, um mit heterogenen Musikgruppen gemeinsam eigene musikalische Werke zu erarbeiten. Die Impulse und musikalischen Ideen wurden von der Gruppe der Teilnehmenden eingebracht und gemeinsam weiterentwickelt.
Die operative Durchführung wurde in einem Zeitraum von rund zwei Monaten mit wöchentlichen Probenmöglichkeiten und Intensivwochenenden an zwei unterschiedlichen Standorten in Köln-Kalk und Köln-Buchheim im Frühjahr 2022 umgesetzt. Durch permanente Rückabstimmung der betreuenden Musiker*innen- und Dozierenden-Teams wurden die Ideen der Gruppen zu einem Konzertprogramm zusammengebaut. Der Mitschnitt des Abschlusskonzertes zeigt dokumentarisch die musikalischen Ergebnisse der Begegnung von Laien und Profis ganz unterschiedlicher Musik- und Herkunftskulturen.
Zum Projekt „MusiKativ“ Konzertmitschnitt und Bildergalerie
Der vorliegende Methodenkoffer soll Materialien und Unterstützungshilfen für die Umsetzung von Community-Music-Ansätzen im eigenen Umfeld geben. Er liefert beispielhaftes Grundlagenmaterial für die Arbeit mit heterogenen Musikergruppen und bietet neben Noten auch methodische Anregungen.
2. Notenmaterial
2.1 Arrangements
Die Arrangements sollten für jede Gruppe individuell angepasst werden. Grundsätzlich kann man mit wesentlichen Elementen der Musik zielorientiert arbeiten: Rhythmus und Groove, Harmonie, Melodie und Instrumentierung. Mit vorhandenen Sheets können den Teilnehmenden, die auf dem Instrument neu lernen, z. B. einfache Harmonietöne gezeigt werden. Schwierigere Melodiepassagen können von Fortgeschritteneren übernommen werden. Dadurch, dass Lehrende mitspielen, können sie reichhaltig unterstützen.
2.2 Sheets
Grundsätzlich sollte man beim transkulturellen Musizieren unbedingt darauf achten, dass man Noten für alle möglichen transponierenden Instrumente vorbereitet. Neben den bekannten europäischen Instrumenten in B, Es und F gab es im Projekt Instrumente wie beispielsweise Oud und Bağlama. Daher haben wir auch die Transpositionen in D für Bağlamas und in G für Instrumente aus der osmanischen Hofmusik wie Ud oder Kanun hinzugefügt. Wichtig zu wissen ist, dass in anderen Musiktraditionen nicht immer das gegriffene C für den Grad der Transposition verwendet wird. Allerdings sollte man beachten, dass bei der Benennung der Transposition nicht immer von der gegriffenen Note „C“ ausgegangen wird. Zum Beispiel ist es in der Türkei üblich, dass man den Transpositionsgrad nach dem gegriffenen „LA“ benennt. Somit ist es hilfreich, beide Transpositionen mit anzugeben. Zum Beispiel: Ney in G (la=e). Baglama in D (la=h). Saxophon in Es (la=c).
In erster Linie wurden beim Projekt Lieder eingebracht, die leicht zu spielen und zu erlernen waren. Die Traditionsweise „Sherane“ ist beispielsweise aus sequenzierten Melodien und wenigen Begleitharmonien aufgebaut. Dies erleichtert das Zusammenspiel von Teilnehmenden mit wenig und viel musikalischen oder instrumentalen Vorerfahrungen.
In der Musik aus Vorderasien gibt es neben der europäischen 12-Ton-Temperierung auch die Mikrointervalle. Die daraus entstehenden Tonarten nennt man in vielen dieser Musiktraditionen „Makam“ oder auch aus der arabischen Transkription „Maqam“. Neben der Tonleiter tragen sie oft auch Eigenschaften über den Melodieverlauf. Beim interkulturellen Ensemblespiel lässt sich das temperierte System mit Mikrointervallen ergänzen. Um es zu vereinheitlichen, wurden die neutralen Vorzeichen verwendet.
2.3 Songs
Das Stück „Buleria“ ist an die bekannte Form aus dem Flamenco angelehnt. Hier werden die Palmas (also das rhythmische Klatschen) als Introduction und Outro verwendet. Mit kleinen Improvisationsideen kann ein großer Bogen über die Form geschaffen werden. Während des Palmas-Outros haben bei der MusiKativ-Aufführung die aktiven Gruppen auf der Bühne getauscht. Während die Gruppe 1 das Outro klatschte, legte sie die Instrumente zur Seite und ging von der Bühne. Zeitgleich kam Gruppe 2 mit dem Klatsch-Rhythmus auf die Bühne. Somit wurde ein pausenloser Übergang zwischen den musizierenden Gruppen geschaffen.
Das Stück „Roma Dance“ basiert auf einem traditionellen Tanzmusikstil aus der Balkan-Region. Es steht im 9/8 Takt, welcher wie ein 4/4 gedacht werden kann, dessen vierte Zählzeit eine Achtelnote länger ist als die anderen. Es hilft, wie folgt zu Zählen: „1, 2, 3, Ta-ki-te“ oder wenn der Dreier auf der dritten Zählzeit liegt „1, 2, Ta-ki-te, 4“. Bei ungeraden Taktarten gibt es meist die rhythmischen Dreiergruppierungen, die sich mit der Silbenkombination „TA-KI-TE“ intuitiv sprechen lässt. Vom Viertelpuls ausgehend kann also eine Zählzeit um eine Achtelnote verlängert werden. Außerdem ist das Stück so geschrieben, dass man sowohl sehr einfache als auch anspruchsvollere Aufgaben vergeben kann. Alle mehrstimmigen Melodien sind Variationsideen und optional umsetzbar. Außerdem passt im Teil 1 jeder der vier Takte zusammen. Teil 2 bietet genug Raum für Soli von Schlaginstrumenten. Im Teil 3 wird das Tempo circa halbiert. Am besten wird die Umsetzung von einer Person geführt. Es können Soli platziert werden. Im Anschluss kehrt man auf Zeichen mit Teil 2 wieder in das schnellere Tempo zurück.
Das Stück „Sheranê“ ist ein traditionelles kurdisches Tanzlied aus der Region Van in Ostanatolien. Es besteht aus einem Motiv, dass sequenziert abwärts gespielt wird. Dieses Stück steht im Orginal in der Makam-Skala „Hüseyni“, welches aber auch temperiert dem Dorischen entspricht. Je nachdem, welche Möglichkeiten man hat, sollte man auf die Temperierung der Mikrotöne achten.
3. Methoden
3.1 Akkordsymbole
Im Entstehungsprozess können im DIN A4-Format ausgedruckte Akkordsymbole auf den Boden gelegt werden und der Gruppe für einen leichteren Überblick dienen. Dazu nutzt man bestenfalls die Dur- und Moll-Akkorde mit den dazugehörigen Tönen als Buchstaben übereinander notiert sowie ergänzende Solmisationssilben. Die Notationsform sollte mit der Gruppe gemeinsam abgestimmt werden.
3.2 Faltklang
Wenn es mehrere Standorte und Musikgruppen gibt, können diese mit dem Faltklang eine gemeinsame Komposition entwickeln. Das Spannende dabei ist, dass die Gruppen erst bei der Zusammenkunft erfahren, wie es klingt.
Gruppe 1 entwickelt eine Kompositionsidee, davon wird die letzte Minute aufgenommen und der zweiten Gruppe als Audioaufnahme geschickt. Gruppe 2 arbeitet mit diesen Ideen der Aufnahme weiter und schickt ggf. der dritten Gruppe wieder die letzte Minute. So entsteht eine gemeinsame Komposition mit Überschneidungen und Übergängen.
3.3 Melodien würfeln
Ein Schaumstoffwürfel wird durch den Raum geworfen. Jede teilnehmende Person würfelt der Reihe nach. Die gewürfelten Zahlen werden nacheinander aufgeschrieben. Es wird so lange gewürfelt, bis genug Material vorhanden ist. Die Würfel-Zahlen bekommen die Bedeutung der ersten sechs Töne einer Tonleiter. Hier kann die Tonleiter und -art frei gewählt bzw. ausprobiert werden. Es entsteht eine eigene neue Melodie, die weiterentwickelt und beispielsweise mehrstimmig oder rhythmisiert ausgearbeitet werden kann.
3.4 Klangblöcke in Reihe stellen
Wenn alle Teilnehmenden in einer Reihe stehen, teilt man unterschiedliche Klangblöcke aus, sodass jeder Person ein Ton zugeteilt wird. Die Klangblöcke können tonal oder chromatisch gewählt werden. Jede*r spielt den eigenen Ton und stellt sich an eine andere Stelle, wenn es einen Änderungswunsch aus der Gruppe gibt. Am Ende entsteht eine Melodie, die rhythmisiert und weiterentwickelt werden kann.
3.5 Spiele auf einer Zahl zwischen 1 und 8
Bei dieser Kompositionsmethode zählt eine Person immer wiederholend von 1 bis 8. Dies geschieht nach Möglichkeit mit Handzeichen. Jede teilnehmende Person sucht sich eine Zahl aus und spielt eine eigene musikalische Idee zu der dazugehörigen Zählzeit. Dieser Vorgang sollte einige Male ausprobiert werden, damit verschiedene Ideen entwickelt werden können. Mit vereinbarten Zeichen lassen sich verschiedene Versionen und Abschnitte zusammenfügen.
3.6 Bodypercussion
Mit drei elementaren Klängen kann jeder Schlagzeug- oder Percussion-Groove abgebildet werden. Beispiel:
1. „Dum“: Schlag mit der flachen starken Hand auf die Brust.
2. „ti-ki“: Schnipsen mit beiden Händen.
3. „Pa“: Klatschen mit der starken Rückhand.
Somit kann ein einfacher Rhythmus entstehen: „Dum-ti-ki-Pa-ti-ki“. Um Erschöpfung zu vermeiden, kann ein Groove dreimal hintereinander mit anschließend einem Takt Pause gespielt werden. Die Gruppen können geteilt werden und sich ablösen. Mehrstimmigkeit kann entwickelt werden.
3.7 Improvisationsdirigat
Für eine Gruppenimprovisation werden einige Handzeichen verwendet, die zwar eine Idee anzeigen, die Ausprägung der Entscheidung liegt jedoch bei der musizierenden Person.
Hierbei wird von einer dirigierenden Person angezeigt, wer spielen soll. Daraufhin wird ein vereinbartes Zeichen gezeigt, welches z.B. einen langen Ton darstellt. Mit dem Einsatzzeichen erklingen die Töne. Es können weitere Handzeichen für lange oder kurze Töne, Tonhöhe, Lautstärke abgesprochen werden. Auch Zeichen für bestimmte musikalische Ideen können entwickelt werden. Bei MusiKativ wurden die Zeichen von Angelika Sheridan verwendet, die auf Butch Morris zurückgehen.
Foto: KölnMusik © Julia Sellmann
MusiKativ ist ein Projekt der Kölner Philharmonie und der Offenen Jazz Haus Schule, gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.