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Es bleibt spannend
Die Kölner Szene von Jazz und improvisierter Musik

Joscha Oetz

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Köln ist die Musikstadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Hier finden meine Streifzüge statt, von hier führen sie mich in die ganze Welt hinaus und zurück. Alles begann damit, dass meine Eltern mich, noch bevor ich in die Schule ging, sonntags in den Sendesaal des WDR mitnahmen, zu Konzerten der Reihe »Matinee der Liedersänger«. Bei diesen Gelegenheiten konnte ich Musiker*innen aus verschiedensten Kulturen hören. Ein paar Jahre später kam es dann zu einem entscheidenden Erlebnis für mich: Als ich zehn Jahre alt war, nahm mich meine Mutter zu einem Konzert der Sheik Yerbouti-Tour von Frank Zappa mit: Ein Ereignis wie ein persönlicher Urknall. Seitdem lebe ich für die Musik.

In den folgenden Jahren erweiterte sich das Koordinatensystem der Orte und Räume, an denen ich Musik erlebte, um unzählige Punkte. Um eine »dröge« Liste zu vermeiden, nenne ich an dieser Stelle nur das Wichtigste: Als Teenager fand ich meinen Weg in den Bayenturm in der Südstadt, der damals das Domizil der Offenen Jazz Haus Schule, geleitet von Rainer Linke, war. Dort fing ich an, in Bands zu spielen und im Zusammenspiel mit meinen Mitmusiker*innen eigene Musik zu entwickeln. Diese Initiation im kreativen Gestalten von Musik, als zentraler Teil meiner musikalischen Sozialisation, prägt mich und mein Musikmachen bis heute. Begleitet habe ich dieses aktive Musizieren mit zahllosen Besuchen von Konzerten im Stadtgarten und im Loft. Im Laufe der Zeit kamen die Eigelsteintorburg, die Musikhochschule, das Schmuckkästchen, das Café Storch, das Zap Zarap, der Rave Club und zahlreiche andere Stätten hinzu – manche verschwanden auch wieder vom Stadtplan. Es waren und sind allesamt Orte, an denen ich bis heute höre, lerne, staune, tanze und spiele, hoffentlich noch lange Zeit.

Nachdem ich das Studium im Fach »Jazz-Kontrabass« bei Dieter Manderscheid an der HfMT Köln beendet hatte, führten mich meine Streifzüge in die weite Welt. Dank meiner Verbundenheit zum US-amerikanischen Kontrabassisten Barre Phillips und eines Stipendiums des DAAD fand ich für vier Jahre den Weg nach San Diego, Kalifornien, wo ich bei Bertram Turetzky westliche Kunstmusik (also known as »Klassik« und »Neue Musik«) studierte. Anschließend ging es weiter nach Lima, Peru, wo meine Familie und ich sieben Jahre lebten. Bei meiner Rückkehr nach Köln war ich erstaunt und erfreut, wie stark sich die Jazzszene hier verändert hatte. Eine neue, kreative und gut organisierte Generation Musiker*innen war in der Zeit meiner Abwesenheit auf den Plan getreten. Sie belebt die Szene und findet stets Nachfolger*innen. Obwohl der Jazzstudiengang in Köln nicht mehr ganz so alleine dasteht wie noch Anfang der 80erJahre – mittlerweile gibt es bundesweit 18 Hochschulen, an denen man Jazz studieren kann –, ist er immer noch ein Kristallisationspunkt, der beständig angehende Musiker*innen in die Stadt zieht. Sowohl die Quantität als auch die Qualität an kreativen und professionellen Musiker*innen in Köln ist immens gewachsen. Das bedeutet zum einen, dass man, wenn man eine Band zusammenstellen möchte, eine reiche Auswahl an Personal an den verschiedenen Instrumenten zur Verfügung hat und sich überlegen kann, welche Stimmen am besten zu den eigenen Ideen passen. Zum anderen fördert dieser Reichtum die Konkurrenz untereinander, die bekanntlich das Geschäft belebt und in Köln durchaus kollegial gelebt wird. Der Umgangston untereinander ist freundlich, die Szene ist groß, aber tendenziell kennt man sich gegenseitig.

Neben der »Initiative Kölner Jazz Haus«, die den Kölner Stadtgarten betreibt, sind »junge« Kollektive wie Klaeng, Impakt oder das Subway Jazz Orchester entstanden, die die Szene bereichern. Die Kölner Jazz Konferenz (KJK) hat sich als Interessenvertretung zusammengefunden und mit der Webseite www.jazzstadt.de sowie mit dem kürzlich ins Leben gerufenen und längst überfälligen internationalen Jazzfestival Cologne Jazz Week Zeichen gesetzt, die weit über Köln hinaus wahrgenommen werden. Es florieren zahlreiche neue Spielstätten und Konzertreihen in der Stadt, und es stehen allerhand Möglichkeiten zur Verfügung, sich bundes-, europa- und weltweit zu vernetzen. Zudem existieren – nicht nur in Köln – weit mehr Fördermöglichkeiten für Projekte, Ensembles und Einzelmusiker*innen, als dies noch vor zwanzig bis dreißig Jahren der Fall war. All dies bedeutet, dass Köln weiterhin – und vielleicht mehr denn je – eine attraktive Stadt für Musikschaffende aus dem In- und Ausland ist. Trotz dieser positiven Entwicklungen hat sich eines leider nicht geändert, und zwar deutschlandweit: Die Lebenssituation von vielen Musiker*innen der Jazzszene bleibt oft prekär. Der Berliner Schlagzeuger Christian Lillinger drückte es vor kurzem so aus: »insgesamt ist der Stellenwert eines Jazz-Künstlers gleich Null.« Gleichwohl übt das Metier weiterhin eine große Anziehungskraft aus, und Musiker*innen finden seit eh und je kreative Wege, um über die Runden zu kommen. Das Unterrichten ist und bleibt auch in Köln ein Standbein für musikalische Existenzen, wenn auch nicht das wichtigste. Mit der Offenen Jazz Haus Schule (OJHS) hat sich schon Anfang der 80er Jahre aus dem Kreis der »Initiative Kölner Jazz Haus« ein freies Zentrum für improvisierte und populäre Musik etabliert, das seitdem seinen anerkannten Teil zu Qualität und Diversität der Bildungslandschaft der Stadt beiträgt. Die OJHS bleibt als Bestandteil des Dreiecks, das sie mit dem Stadtgarten und der Jazzabteilung der HfMT bildet, ein zentraler Pfeiler der freien Szene improvisierter und populärer Musik in Köln – nicht zuletzt als Arbeitgeber von zirka zweihundert Dozierenden aus der Szene. Ihr Wirkungskreis ist in den letzten Jahren dynamisch und stetig gewachsen. Die Konstanten des offenen pädagogischen Konzepts, etwa das Prinzip »Musik von Anfang an«, der Anspruch inklusiven Arbeitens oder die kreative Gestaltung von Musik im offenen Bandformat, sind in heutigen Diskursen von Musikpädagogik und kultureller Bildung aktueller denn je. In der Praxis und durch die Reflexion des Tuns entwickeln Musiker*innen und Künstler*innen diese Konzeptionen gemeinsam stetig weiter: in Angeboten vom KITA-Alter bis zur Studienvorbereitung über Weiterbildungen und Publikationen, im Bereich kulturelle Schulentwicklung, zusammen mit vierzig Kölner Bildungspartnern von Grund- zu Hochschulen und in soziokulturellen Projekten.

Trotzdem und gerade deshalb gibt es mehr zu tun denn je. Stillstand oder das nostalgische Beharren auf »Normal« können wir uns nicht leisten.

Der gesellschaftliche Wandel und die Herausforderungen, die er mit sich bringt, sind real und verlangen Reflexion, Haltung und Handlungen von uns. Bildungs- und Gendergerechtigkeit bleiben Ziele, die noch nicht erreicht werden konnten. Viele Fragen bleiben offen und stellen sich neu. Wie werden wir als Bildungseinrichtung diverser? Wie können wir dazu beitragen, den Beruf Musiklehrer*in an Grund- und weiterführenden Schulen wieder attraktiver zu machen, um dem eklatanten Mangel an Lehrkräften für Musik entgegenzuwirken? Wie gehen wir mit den Herausforderungen des Klimawandels und den damit verbundenen nötigen Änderungen um? Welche Rollen können und sollen Künstler*innen bei diesen gesellschaftlichen Anstrengungen spielen? Wie gestalten wir das kulturelle Leben, wenn Mobilität ganz anders gestaltet werden muss?

In meiner Tätigkeit an der Jazzhausschule habe ich in den letzten Jahren einiges neu für mich entdecken können. Genannt sei hier nur das: Im meinem Koordinatensystem von Orten, an denen ich Musik erlebe, sind Punkte hinzugekommen, die ich nicht erwartet habe. Ich habe intensive und beeindruckende Jam Sessions erlebt – mit Gruppen in KITAS oder an Schulen sowie mit spontan zusammenkommenden, heterogenen Ensembles mit Menschen verschiedenster musikalischer Backgrounds und Kenntnisse. Das war oft überraschend schön, und davon wünsche ich uns allen mehr.

Wie Köln tickt? Schwer zu beantworten. Sicher ist: Nichts bleibt stehen, es bleibt spannend, es bleibt ein Abenteuer.

 

Dieser Text wurde veröffentlicht in "Das Journal #Berufsfelder" der Hochschule für Musik und Tanz Köln (Ausgabe Wintersemester 2021/22). Die komplette Ausgabe kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Joscha Oetz

Joscha Oetz ist Kontrabassist und Komponist, Leiter der Offenen Jazz Haus Schule und Lehrbeauftragter für Fachdidaktik Ensemble an der HfMT Köln. Er hat an der Folkwang Hochschule in Essen, an der Musikhochschule Köln und an der University of California, San Diego studiert.