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Die innere Haltung, die wir mit dem Begriff Jazz in Zusammenhang bringen
Ein Gespräch mit Rainer Linke über persönliche und institutionelle Geschichten

Rainer Linke, Hans-Jürgen Linke

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Dieser Text ist Teil der Festschrift zum 40jährigen Jubiläum der Offenen Jazz Haus Schule im Jahr 2020. Die vollständige Festschrift als PDF-Datei kann hier abgerufen werden.

 

Du warst vor 40 Jahren und auch noch lange danach ein erfolgreicher Bassist in der deutschen Jazz- Szene, hast in sehr gefragten, tollen Bands gespielt ...

Rainer Linke: Danke, dass Du das so sagst. Seit dem Ende meines Studiums Mitte der 1970er bis in die 90er Jahre war ich in der Tat als Bassist sehr aktiv und engagiert. Nach meiner klassischen Ausbildung an der Musikhochschule erfuhr ich meine Ausbildung im Jazzbereich by doing it, quasi on the road. Ich erinnere mich an Konzerte mit dem Gitarristen Toto Blanke, der mich in seine damalige Band mit Joachim Kühn und dem finnischen Schlagzeuger Edward Vesala einlud. Zuvor spielte ich bereits in der Kölner Band KEY, mit Markus Stockhausen, Hugo Read, Reinhard Schmitz und Kurt Billker. Etwas später dann kam die Zeit in der von Uli Beckerhoff geleiteten Band RIOT mit Christof Lauer, Andreas Lumpp, Wolfgang Eckholt. 1977 produzierten wir mit beiden Bands unsere ersten Schallplatten. Mit RIOT tourten wir landauf, landab durch Deutschland, Holland, Belgien, Österreich und wurden zu fast allen deutschen Jazzfestivals bis hin zu den Berliner Jazztagen und von Rundfunkanstalten zu Produktionen eingeladen. Um die 80 Konzerte im Jahr: Meist zu viert oder fünft in meinem VW-Bulli, waren wir für mich gefühlt mehr Fernfahrer als Musiker.

In den 1980er Jahren gründete ich mit Roger Hanschel und Hans Lüdemann zunächst das Quartett NANA mit Klaus Mages am Schlagzeug, später spielt ich mit Hans und Roger im Trio unter dem Namen »Blau Frontal«. Unsere letzte CD mit »Blau Frontal« nahmen wir 1993 im Loft auf, mit den Gastmusikern Hank Roberts (Cello) und Mark Feldman (Violine).

... und dann hast Du irgendwann all das an den Nagel gehängt, zugunsten Deiner Arbeit für die OJHS. Wie kam es dazu?

Neben der Musik war ich immer auch an gesellschaftlichen und sozialen Fragen, an Pädagogik und an der Entwicklung von Strukturen interessiert. Zudem hatte ich irgendwann verstanden, dass wichtige Dinge, die die Existenz von Musikern betreffen, nicht auf und nicht vor der Bühne, sondern hinter der Bühne entschieden werden. Mir wurde klar: Als einzelner Musiker bist du machtlos. Darum habe ich mich schon 1978 der Initiative Kölner Jazz Haus angeschlossen und bin dort auf gleichgesinnte und brillante Menschen gestoßen wie z. B. Reiner Michalke und Matthias von Welck, Joachim Ullrich und Dieter Manderscheid. Das eröffnete mir neue Wege und Horizonte, und wir arbeiten mit dem Stadtgarten und der Hochschule für Musik und Tanz Köln bis heute zusammen.

So hatte ich in den 1980er Jahren gleich drei fordernde Jobs: Wie eben dargestellt, war ich als freischaffender Musiker on the road; dann hatte ich einen Lehrauftrag für Jazz-Kontrabass mit zehn Stunden pro Woche an der Musikhochschule in Köln, und ich übernahm zunehmend die Leitung der ständig wachsenden Jazzhaus- schule. In der Summe führte dieser Zustand Anfang der 1990er Jahre zu einer Überlastung. Gesundheitlich leicht angeschlagen, wurde mir zunehmend klar: Alles gleichzeitig kannst du auf Dauer nicht stemmen. Ich war in einer existenziellen Krise, nahe am Burnout. In dieser Phase hat meine Frau mich aufgefangen und – wie auch in all den folgenden Jahren - nachhaltig unterstützt.

Dann die Lösung: 1993 zeigte sich die Stadt Köln bereit, die Eigelsteintorburg auf der Grundlage eines Erbbaurechtsvertrags langfristig der Jazzhausschule zur Nutzung anzuvertrauen. Ein Riesenerfolg! Gemeinsam mit zahlreichen Kollegen und mit Unterstützung unserer Teilnehmer hatten wir schließlich über 14 Jahre mit der Stadt Köln um geeignete Räume für die Jazzhausschule gerungen und waren mehrfach demonstrierend auf die Straße gegangen. Mit der Eigelsteintorburg als Zentrum bot sich eine echte Perspektive – für die Jazzhausschule wie auch für meine persönliche berufliche Zukunft.

Hast Du die Entscheidung jemals bereut?

Der Verlust des aktiven Musikerdaseins geht mir hin und wieder bis heute nach – aber bereut habe ich die Entscheidung nicht. Anderen Menschen aktives Musizieren zu ermöglichen, sie darin zu unterstützen, ästhetische Erfahrungen zu gewinnen, musikalisch zu lernen, all das erlebe ich als kreative Tätigkeit. Und es ist mir zudem ein wichtiges Anliegen, dass es in Köln ein qualitativ hochwertiges und möglichst flächendeckendes musikalisches Bildungsangebot im Bereich improvisierter und populärer Musik gibt. Ich hatte mich an beiden großen Kölner Bildungseinrichtungen, der Rheinischen Musikschule und der Musikhochschule, darum bemüht, die Entwicklung in diesem Sinne voranzubringen und bin letztlich an beiden Institutionen gescheitert. An der Rheinischen Musikschule wurde mir unmissverständlich mitgeteilt, dass sich die Institution neben dem Tanz kein zweites »Extra« leisten könne, und an der Musikhochschule steht man als Lehrbeauftragter in der Hierarchie noch unter dem Hausmeister. Das brachte mich dazu, meine Anliegen noch ernsthafter selbst in die Hand zu nehmen. Das entspricht wohl auch mehr meiner Persönlichkeit, als in einer traditionellen Institution mit vorgegebenen Strukturen und Hierarchien zu agieren.

War es ein Glücksfall, dass in der Rheinischen Musikschule Anfang der 1980er Jahre wenig Platz für Jazz und innovative Vermittlungsideen vorhanden war – zumal, wenn man heute sieht, was in den vergangenen 40 Jahren alles entstanden ist?

Glücksfall? Naja... Meine Position als Leiter der Offenen Jazz Haus Schule gab mir im Laufe der Jahre jedenfalls unendlich viele Möglichkeiten, meinen Vorlieben und Stärken zu folgen, und die Jazzhausschule diente mir selbst und anderen als Plattform, um unsere Visionen Realität werden zu lassen. Ich habe meine Arbeit an der Jazzhausschule immer als spannenden, herausfordernden, kreativen Prozess erlebt: im Team gemeinsam mit anderen frei und weitgehend ungebunden nach passenden, sinnvollen und effektiven Lösungen zu suchen und diese dann auch zu realisieren. So konnte jedenfalls etwas gänzlich Neues entstehen.

Da passte Ende der 1970er Jahre gerade vieles zusammen: Ein Kreis junger, gleichgesinnter professioneller Musiker, vereint in dem starken Wunsch, etwas Neues, Eigenes zu schaffen, dann die zahlreichen Fans, die selbst aktiv musizieren wollten, und all dies in einer Stadtgesellschaft, die sich in weiten Teilen im Umbruch befand – dynamisch, alternativ, vielfältig und offen. Dies alles geschah mit großem Ernst und gleichwohl einer gewissen jugendlichen Unbekümmertheit. Eine gemeinnützige Bildungseinrichtung im eigenen Auftrag, ohne Netz und doppelten Boden frei am Markt als Mitbewerber zu einer hochsubventionierten kommunalen Musikschule zu initiieren, das musste entweder auf direktem Weg zu prekären Arbeitsverhältnissen und Selbstausbeutung oder aber, wenn‘s gut ging, zu Ruhm und Ehre führen (lacht).

In der Sozialpsychologie der Jazz-Instrumentalisten ist es der Bassist, der die Dinge organisiert und zusammenhält, Verantwortung übernimmt, anderen eine Plattform schafft. Insofern hast du das richtige Instrument gewählt.

Ja, da scheint was dran zu sein. Jedenfalls habe ich mich von Beginn an verantwortlich für die Belange der Jazzhauschule gefühlt, habe Anträge geschrieben, mich nach Räumen umgeschaut, Wünsche und Bedürfnisse anderer wahrgenommen, Instrumente transportiert, Meetings organisiert, später unsere erste Veröffentlichung »Materialien für die Arbeit mit Jazzgruppen« betreut und so weiter und so weiter...

Wie hast Du Dich als Leiter der Schule verstanden? Welche Rollen hast Du eingenommen?

Hinrich Franck, seit 1983 Dozent an der Jazz Haus Schule, bezeichnete mich einmal als »Direktor Deiner Schule«, und der ehemalige Kulturamtsleiter, Jürgen Nord, begrüßte mich mit »Hallo, Mr. Jazzhausschule«. Das spiegelt mir die Außenwahrnehmung meiner bedingungslosen Identifikation mit meiner Tätigkeit und Rolle als Leiter der Jazzhauschule. Auch wenn das nach Führung auf Gutsherrenart klingt, sind – auf der Grundlage von offener Information und Kommunikation – Partizipation und Mitgestaltung aller Beteiligten für mich selbstverständlich und für die Jazzhausschule existenziell. Ich sehe die Jazzhausschule als Plattform, auf der freiberuflich tätige Musiker selbstverantwortlich handeln und gegenüber dem Träger der Plattform loyal agieren. Meine Aufgabe als Leiter war stets, die richtigen Leute an den für sie richtigen Platz zu bringen und dort zu halten. Ich habe mich dabei immer als Motor gesehen, der Prozesse in Gang setzt und in Gang hält, der Strukturen schafft, die alles sicher tragen. Die Jazzhauschule schöpft dabei aus dem schier unerschöpflichen Reservoir einer Kulturmetropole, das sich mit jedem Jahrgang der Kölner Hochschule für Musik und Tanz mit kreativen Musikern neu anreichert.

Wie gestaltete sich Deine Arbeit als Leiter der Jazzhausschule konkret?

Äußerst vielfältig. Als künstlerisch-pädagogischer Leiter und Geschäftsführer richte ich mich an Visionen aus, nehme Haltungen ein und verfolge sie über lange Zeiträume, etwa unseren ganzheitlichen, künstlerisch-pädagogischen Bildungsansatz, eine in die Zukunft gerichtete gesellschaftlich-politische Orientierung, einen persönlichen Führungsstil, strukturelle, personelle, vertragliche, rechtliche und finanzielle Grundlagen der Institution – und dies stets gemeinsam mit den Mitarbeitern, mit Dozenten, Freunden und Förderern. Konkreter gilt es, Bildungsangebote und Projektkonzeptionen zu entwickeln, passende Dozenten zu suchen, Kursangebote, soziokulturelle Projekte, Konzerte, Weiterbildung und vieles mehr zu organisieren, sich um Öffentlichkeitsarbeit zu kümmern und Fördermittel zu akquirieren. Als Geschäftsführer achte ich auf die Finanzen, setze mich mit Steuerberatern und Juristen, mit Politik und Verwaltung von Stadt und Land auseinander und vieles mehr. Als Schulleiter konnte ich im Laufe der Jahre – gemeinsam mit Mitarbeitern, Dozenten, Förderern und letztlich auch den Teilnehmern – das besondere und einmalige Profil der Jazzhausschule federführend entwickeln und immer differenzierter ausgestalten.

Wir haben über traditionelle musikpädagogische Bildungseinrichtungen in Köln gesprochen und über Deine Erfahrungen damit. Ihr habt Euch, um Euch schon auf den ersten Blick davon abzugrenzen, Offene Jazz Haus Schule genannt, und Du hast vorhin ein Wort verwendet, das in den achtziger und neunziger Jahren noch nicht in Mode war, aber in den letzten zwei Jahrzehnten sehr gängig geworden ist: Plattform. Ist es so, dass Ihr von Anfang an schon die Jazzhausschule begriffen habt als eine Plattform für Entwicklungen und Initiativen, die auf Euch zukommen und die unabhängig von Euch in Gang gekommen sind?

Ja, unbedingt. Die Jazzhausschule reagierte im Laufe von 40 Jahren kontinuierlich auf gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen. Dabei war sie stets auf die kreative Energie und das Engagement ihrer Dozent*innen angewiesen. In den 1980er Jahren waren es die Gründungsmitglieder, neben mir Joachim Ullrich, Dieter Manderscheid, Raimund Kroboth, Georg Ruby und nur wenig später Ulla Oster – alles Mitglieder der Initiative Kölner Jazz Haus.

1983 begannen Marianne Steffen-Wittek und ich, gemeinsam mit den damaligen Studenten Conny Brüssel und Stefan Schneider-Reuter mit Kindern zu arbeiten. In diesem Zusammenhang gab Marianne als Rhythmikerin und Schlagzeugerin die pädagogisch prägenden Impulse. Mitte der 1990er Jahre war es die HipHop- Kultur, eine Migrantenkultur mit Künstlern wie den Rap-Poeten Adé Bantu (bürgerlich: Adegoke Odukoya), Kutlu Yurtseven, Fatih Cevikkollu, dem Sprayer und Breakdancer Jörg Thielen, dem Dj Lifeforce (bürgerlich: Mike Hagen) und den Schauspielerinnen Selda Akhan und Hülya Dogan-Netenjakob, die das öffentliche Bild der Jazzhausschule mit prägte. Sie entwickelten im soziokulturellen Bereich das Format unserer sogenannten HipHop-Musicals, getragen von der künstlerischen Energie der Migranten. In dieser und auch in anderen Phasen setzten immer wieder Musiker und Künstler, die nicht über den Weg der Musikhochschule zu uns gekommen waren, markante Impulse an der Jazzhausschule. Anfang der 2000er Jahre entstand das »Vorstudium Jazz«, initiiert und geleitet vom Bassisten und Komponisten André Nendza. Ziel dieses Formats ist es, Teilnehmern aus Köln und der Region eine direkte Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule zu ermöglichen.

Mitte der 2000er Jahre bildete sich erstmalig ein regelrechtes Konzeptionsteam. Konstante Mitglieder waren Franz Kasper Krönig, Thorsten Neubert, Thomas Gläßer und Achim Tang. Alle vier nutzten die Jazzhausschule als Plattform für ihre Ideen und Projekte und tragen seitdem wesentlich zu ihrem pädagogischen Profil bei. Hier nur einige Beispiele: Franz Kasper Krönig beschreibt die Theorie und Praxis der Jazzhausschule in Aufsätzen, Artikeln und Büchern. Gemeinsam mit Achim Tang gab er der kulturellen Stadtteilentwicklung modellhafte Impulse mit den Projekten »Sounds of Buchheim«, »Family Sounds« und einem inklusiven Stadtteilorchester. Thomas Gläßer engagierte sich in Zeiten von OGS, G8/G9 und JeKits im Bereich kultureller Schulentwicklung und gestaltete mit »MuProMandi« und »KlangKörper« zwei modellhafte Schulprofile. Thorsten Neubert bringt sich bis heute mit theoriebasierter Reflexion von Unterrichtspraxis in die Weiterbildungsangebote der Jazzhausschule ein.

Jazzdidaktik und Vermittlung von improvisierter und populärer Musik war Anfang der 1980er Jahre weitgehend Neuland. Wie seid Ihr vorgegangen?

Richtig – bis 1981 gab es in Deutschland keine akademische Ausbildung im Jazz. Da brachte zunächst jeder von uns seine individuelle Vorerfahrung und Vorgehensweise ein. Ich beschreibe am besten mal meinen Weg, denn ich habe meine pädagogische Tätigkeit später primär an meinem eigenen Bildungsweg orientiert. Rückblickend gesehen, folgte meine Jazz-Ausbildungsbiographie den Regeln mündlicher Überlieferung. Sie wurde von meinen Bands und von anregenden Konzertbesuchen geprägt. In den Bands entwickelten wir ein Repertoire aus eigenen Stücken und spielten gelegentlich öffentlich. Dabei brachte jeder seine Musik, seine Stücke und Ideen in die Proben ein. Dies vollzog sich Anfang der 1970er Jahre mangels formaler Ausbildungsmöglichkeiten informell im Selbststudium, im peer to peer learning und zudem non-formal im Jazz-Seminar der Musikhochschule und in Workshops. Ich war von dieser Art des Lernens und Spielens völlig elektrisiert: Selbst für seine Musik verantwortlich zu sein! Aus dem Stegreif spielen, improvisieren – eine umwerfende Erfahrung nach über zehn Jahren ausschließlich traditioneller, klassischer Musikausbildung.

Vielleicht sollte ich noch ergänzen: Zeitlich parallel begegneten mir zahlreiche Musiker und Bands, die mich mit ihrer Musik begeisterten. Auf mich sprang der Funke für den Jazz Anfang der 1970er Jahre über. Ich hörte damals in Konzerten so unterschiedliche Musiker wie Terje Rypdal oder Michael Urbaniak mit Urszula Dudziak im Päff Art Klub, das Manfred Schoof Trio mit Peter Trunk am Bass und Cees See am Schlagzeug im kleinen Sendesaal des WDR oder auch das Kölner Improvisationsensemble »Gruppe 8« mit Musikern aus dem Bereich der neuen, experimentellen Musik wie Manfred Niehaus und York Höller in einem Konzert in den Räumen der Volkshochschule Köln. Alles Konzerte und Orte, die sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt haben.

Als Dozent nutzte ich vor allem die so gewonnenen Erfahrungen, Maßstäbe, Werte und Haltungen. Ich bezog die Teilnehmer in die Gestaltung der Musik – so wie ich es in meinen Bands erfahren hatte – so weit wie mög- lich ein. Auch spielte das soziale Gefüge einer Band und meine Beziehung zu jedem einzelnen Bandmitglied für mich stets eine bedeutende Rolle. Dies zunächst in der Arbeit mit Erwachsenen, dann mit Jugendlichen und ab den 1990er Jahren auch mit Grundschulkindern.

Im Laufe der Zeit haben sich doch sicher auch übergeordnete Konzeptansätze herausgebildet?

Ja sicher, unsere sogenannten »Konzeptkonstanten«. Wir haben Jazz nie als Begriff für eine Stilistik, die es zu vermitteln galt, verstanden. Wir verwenden dieses Wort zwar gezielt, um uns nach außen hin zu profilieren, aber in der Pädagogik geht es uns nicht primär um Stilistik. Es geht um die innere Haltung, die wir mit dem Begriff Jazz in Zusammenhang bringen: Selbstbestimmt und kreativ Musik zu gestalten, demokratisch und inklusiv. Daraus ergeben sich die weiteren Grundsätze unserer Arbeit. Dem Ansatz der reflective practice folgend, werden Wissen, Konzepte, Methoden, Angebotsformate, all das, was in der Jazzhausschul-Praxis entsteht, gesammelt, gesichtet und sowohl intern als auch nach außen – in Form von Weiterbildung und Veröffentlichung – kommuniziert. Ganz aktuell unter dem Logo »JazzHaus Einblicke« auf unserer Internetseite zu finden.

Ihr feiert im Jahr 2020 ein zweites Jubiläum: 25 Jahre Eigelsteintorburg als Zentrum der Offenen Jazz Haus Schule.

Damit ist das Thema »Räume« angesprochen, ein Thema, das mich seit 40 Jahren immer wieder beschäftigt. Das 1991 von uns vorgelegte Nutzungskonzept der Eigelsteintorburg als Grundlage des Erbbaurechtsvertrags ist in jeder Hinsicht aufgegangen. Unsere Raumprobleme haben sich allerdings mit dem Einzug in die Torburg lediglich vorübergehend und nur in Teilen gelöst. Der Grund liegt unter anderem darin, dass sich die Teilneh- merzahl der Jazzhausschule seit 1990 von 500 auf über 5000 Teilnehmer mehr als verzehnfacht hat. Damit platzt die Eigelsteintorburg schon seit längerer Zeit aus allen Nähten.

Die Jazzhauschule ist dezentral organisiert – oder?

Ja natürlich, schon seit 1988 kooperieren wir mit Kölner Schulen und Jugendeinrichtungen. Zurzeit sind es stadtweit über 30 allgemeinbildende Schulen und einige Kitas. Unsere soziokulturellen, kulturpädagogischen Angebote finden in Jugendeinrichtungen statt, und 50 Prozent unseres Instrumentalunterrichts wird in privaten Räumen der Dozenten durchgeführt. All dies deckt jedoch nicht annähernd unseren Raumbedarf. Es fehlt an Büroraum für unsere Verwaltungsmitarbeiter, die Torburg ist selbst an den Wochenenden und in den Oster- und Herbstferien randvoll belegt, und in allen Schulen sind wir in unseren Aktivitäten durch fehlende Räume stark eingeschränkt. Hinzu kommt, dass selbst neu gebaute Schulen nicht über schallschutztechnisch hinreichend ausgestatte Musikräume verfügen. Hier sehen wir die Stadt Köln in der Verantwortung. Es besteht dringender Handlungsbedarf!

In den 1990er Jahren hast Du immer wieder eine stärkere öffentliche Förderung der Jazzhauschule eingefordert. Was hat sich diesbezüglich in den letzten 20 Jahren getan?

Erfreulicherweise sehr viel und sehr Vielfältiges – seitens der Stadt Köln, des Landes NRW, zahlreicher Stiftungen und auch privater Sponsoren und Spender. So fördert das Jugendamt der Stadt Köln seit Anfang der 2000er Jahre zunächst eine und dann eineinhalb und seit Januar 2020 zwei Stellen für Overheadarbeiten zur Entwicklung des kulturpädagogischen, soziokulturellen Bereichs unserer Arbeit. Die Aufgabe dieser Mitarbeiter ist es unter anderem, weitere Fördermittel für unsere soziokulturelle Arbeit zu akquirieren. Dies ist ihnen im Laufe der Jahre in zunehmendem Maße gelungen. Im städtischen Doppelhaushalt für die Jahre 2020/2021 sind erstmalig Fördermittel für den musikpädagogischen Bereich der Jazzhausschule, also unsere entgeltpflichtigen Kursangebote wie Ensemblespiel und Instrumentalunterricht eingestellt – konkret für Dozentenhonorare, musikpädagogische Stellen und für zwei Modellprojekte an Grundschulen – »MuProMandi« und »KlangKörper«. Diese Förderung wäre strukturerhaltend und sicherte die Diversität und Qualität des musikalischen Bildungsangebots in Köln. Um die Administrierung dieser Mittel wird zurzeit jedoch noch gerungen.

Die Jazzhausschule wird zudem seit über 20 Jahren durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW und das Ministerium für Familie, Kinder, Flüchtlinge und Integration NRW gefördert.

Klingt nach: finanziell konsolidiert, Ziel erreicht.

Ja, wir haben bezüglich der öffentlichen und privaten Förderung viel erreicht und sind auch sehr dankbar dafür. Gleichwohl ist diese Förderung auch relativ zu sehen. Zurzeit finanziert sich die Jazzhauschule zu ungefähr zwei Dritteln aus Teilnehmerentgelten und zu einem Drittel aus Fördermitteln. Die Fördermittel fließen überwiegend in kulturpädagogische und soziokulturelle Projektarbeit. Ein großer Teil der Fördermittel ist projektgebunden und muss jährlich neu beantragt und verwendet werden. Die Förderungen sind freiwillige Leistungen und können daher jederzeit zurückgenommen werden. Darum können wir unsere Dozenten nach wie vor ausschließlich auf Honorarbasis beschäftigen. Festanstellungen sind leider nicht finanzierbar. Es wäre zu wünschen, dass die öffentliche Hand ihren Bildungsauftrag verbindlich auch auf Musikschulen und freie Träger wie die Jazzhausschule ausweitet und sie so ausstattet, dass unsere Dozenten angelehnt an die Tarife im öffentlichen Dienst bezahlt werden können.

Du wirst bald die operative Leitung der Jazzhausschule an Joscha Oetz übergeben, aber der Schule wohl weiterhin verbunden bleiben.

Ja, trotz siebzig und nach vierzig Jahren kein ganz leichter Abschied. Aber ganz gehe ich ja noch nicht. Ich werde vorerst im Vorstand als Erster Vorsitzender weiterhin tätig sein. Es ist natürlich so, dass man, wenn man etwas aufgebaut hat, auch gern hätte, dass es erhalten bleibt und sich positiv entwickelt. Da bin ich ganz guter Dinge. Joscha ist an der Jazzhausschule bereits als Teilnehmer groß geworden. Er hat dann während seines Musikstudiums in Köln als Dozent an der Jazzhausschule gearbeitet. Nach seinem zweiten Musikstudium in den USA hat er in Lima zahlreiche eigene Projekte hochgezogen und zurück in Köln mehrere Jahre an einer allgemeinbildenden Schule praktisch Musik unterrichtet. Seit 2016 ist er mein Stellvertreter. Ich bin sicher, er bringt alle Voraussetzungen mit, den Job richtig gut zu machen. Es ist mir jedenfalls sehr wichtig, dass es weitergeht, und mir ist auch bewusst, dass ich jetzt loslassen muss.

Du wirst also Joscha nicht ständig im Nacken sitzen?

Ich werde ihm beratend zur Seite stehen. Als Leiter war ich sowieso in großen Teilen meiner Arbeit beratend und unterstützend tätig. Leitung heißt für mich: Leute aussuchen, Ziele setzen und dann – wenn gewünscht oder notwendig – unterstützen und weiterbilden. Als Vorstandsmitglied bleibe ich eingebunden und letztlich mitverantwortlich.

Wie wird die Arbeit der OJHS demnächst weitergehen? Sind die Gleise gelegt? Bist Du zufrieden? Gibt es Lücken in Euren Aktivitäten, die sich auswirken werden?

Ich würde das Bild eines wachsenden Organismus bevorzugen. Die Offene Jazz Haus Schule ist über 40 Jahre ohne direkte Vorbilder kontinuierlich gewachsen, getragen von Visionen und vom kulturpolitischen und bildungspolitischen Engagement Kölner Musiker. Und sie wächst noch – als lebendiger Organismus, in vielfältiger, anregender Umgebung und in weitgehender Offenheit stärker und schneller denn je. Das ist es, was mir Zufriedenheit gibt. Dabei haben sich im Laufe der Jahre solide, tragfähige Strukturen und Netzwerke entwickelt. Ich mache mir um die Zukunft der Jazzhausschule keine Sorgen.

Rainer Linke

Initiator, ehemaliger Leiter und Dozent der Offenen Jazz Haus Schule; Studium an der Musikhochschule Köln (Schulmusik, Instrumentalpädagogik Kontrabass); langjährige internationale Konzerttätigkeit, zahlreiche Platten- und CD-Veröffentlichungen; 1979 – 1994 Dozent für Jazz-Kontrabass an der Musikhochschule Köln, seit 2006 für Musikpädagogik; Entwicklung des Youngster Band-und Youngster-Instrumentalgruppen-Konzepts; pädagogische Tätigkeit im Bereich Improvisierter und Populärer Musik; zahlreiche Veröffentlichungen.

Hans-Jürgen Linke

geboren 1953 in der Norddeutschen Tiefebene, studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie in Marburg, versuchte sich als Musiker v. a. an der Posaune, war Kulturredakteur beim Gießener Anzeiger und Musikredakteur im Feuilleton der Frank- furter Rundschau.

Er erhielt 2012 den Preis für deutschen Jazzjournalismus, war Chefredakteur des Magazins Jazzthetik und arbeitet heute als Konzert-Kurator und freier Autor.